(19)84 und die schöne neue Welt

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Dystopismus ist ein Genre, das bedrückende Zukunftsvisionen erzählt in denen es kein Happy End und keine Aussicht auf Besserung gibt. George Orwell’s 1984 ist so gesehen ein typischer Vertreter dieser Gattung. 1948 veröffentlicht scheint er uns auch heute beunruhigend prophetisch und nicht erst seit Snowden warnen immer mehr Stimmen vor dem Überwachungsstaat.
Der Gegenentwurf dazu ist Aldous Huxley’s „Brave New World“ in dem die Menschen sich freiwillig und begeistert einem uns unmenschlich erscheinenden System fügen…

 

#084 – (19)84 und die schöne neue Welt

In Folge 84, also der heutigen Folge, möchte ich mit Euch über ein Buch sprechen. Ein sehr bekanntes Buch; ein oft zitiertes Buch und ein Buch, bei dem ich den Verdacht habe, dass die meisten, die es zitieren, es eigentlich gar nicht gelesen haben. Die Rede ist natürlich von George Orwell’s Nineteen Eighty-Four 1984, einem Roman über eine damals, als er es schrieb, fiktive Zukunft, in der die Menschheit unterdrückt wird.

George Orwell, der mit bürgerlichem Namen Eric Arthur Blair hieß, schrieb diesen Roman in den Jahren 1946-1948. Da kommt auch der Titel her. Er hat einfach die 48 genommen und umgedreht. Und vielleicht sollte es auch an den Bezug zwischen Zukunft und Gegenwart darstellen. Wer weiß? – Vielleicht hat er auch einfach nur einen guten Titel gesucht.

Die Welt, die in dem Roman beschrieben wird, besteht aus verfeindeten Machtblöcken – Ozeanien, Eurasien und Ost-Asien, die sich in einem dauernden Kriegszustand befinden. Beschrieben wird ein totalitärer Staat mit einer Parteielite, dem sogenannten großen Bruder oder Big Brother und den restlichen Parteimitgliedern und dem Volk. Es gibt eine allgegenwärtige Überwachung. Das heißt, die sogenannte Gedankenpolizei überwacht permanent die gesamte Bevölkerung. Es gibt zwangsweise installierte Aufzeichnungsgeräte und alle Wohnungen können jederzeit visuell und per Audio kontrolliert werden.

Ein allgegenwärtiger Propaganda- und Gehirnwäsche-Apparat sorgt dafür, dass die Bevölkerung in ständiger Angst vor dem Staatsfeind gehalten wird und die Sprache systematisch von Worten und Begriffen gereinigt wird, die nicht mehr gewünscht sind. Das sind so Worte wie “Freiheit”.

Die Hauptfigur des Romans ist Winston Smith, der im Ministerium für Arbeit, dem Propaganda-Ministerium in London arbeitet. Winston ist unglücklich mit der Situation und macht einige verbotene Dinge. Er führt zum Beispiel Tagebuch über seine verbotenen Gefühle und Gedanken und verheimlicht damit dem Apparat das ein oder andere. Er vermutet sich unter Beobachtung, glaubt dass um ihn herum Agenten der Geheimpolizei sind, speziell eine junge Frau, die ihm auffällt – Julia – scheint ihm eine Gedankenpolizistin zu sein und beeinflusst dadurch natürlich auch sein Verhalten.

Es stellt sich aber heraus, dass sie keine Agentin, sondern in ihn verliebt zu sein scheint. Und das ist schon mal ein kompletter Regelbruch. Denn es ist ein Schwerverbrechen Sexualität für etwas anderes als Fortpflanzung zwischen den Parteimitgliedern zu nutzen. Der Plan des Parteiapparats ist, die Fortpflanzung nach und nach durch künstliche Befruchtung zu ersetzen und deswegen ist es brandgefährlich, was die beiden dort anfangen.

Während sie noch versuchen herauszufinden, in was für eine Situation sie sich genau begeben und wie sie vielleicht untertauchen und zusammenleben können, fliegt das ganze auf und sie werden gefangen genommen. Und im dritten Teil des Buches geht es dann eben um die Folter und die Umerziehung von Winston, was durch und durch bedrückend ist, ist dass diese Gehirnwäsche und diese komplette Handlung kein Happy End hat. Das heißt, Winston ist zum Schluss ein treuer Gefolge des großen Bruders. Er liebt Julia nicht mehr, er folgt der Berichterstattung und ist komplett in den Apparat wieder eingepflegt.

Orwell’s Werke,  und so eben auch dieses Buch, haben oft als Grundton die Warnung vor totalitären Systemen. Und 1984 ist wirklich sehr bedrückend, wenn man es liest und zum Teil deswegen, weil uns die Methoden so bekannt vorkommen. Eine totale Überwachung beispielsweise sorgt dafür, dass Menschen sich nicht mehr frei bewegen und darüber nachdenken, was sie sagen, was sie tun, was sie veröffentlichen und damit eben nicht mehr vollständig Herr ihrer Gefühle und Meinungen sind.  

Ein umfassender Propaganda-Apparat wie in dem Roman, in dem beispielsweise auch die Vergangenheit umbedeutet und systematisch umgeschrieben wird, ist ein weiteres Beispiel. Wenn die Vergangenheit systematisch umgeschrieben wird, dann wird es enorm schwer richtige Einordnungen zu treffen und auch Gut von Böse, Unterdrückung von Freiheit, Terrorismus von Freiheitskampf usw. zu unterscheiden.

Auch die Bevölkerung in Angst zu halten und permanent mit einer Bedrohung zu argumentieren, also einem ständigen Kriegszustand, ist ein Werkzeug, auf das Orwell hinweist. Und das ist ja natürlich etwas, was man wirklich auch gerade in heutigen Zeiten massiv beobachten kann. Die Angst vor Terrorismus wird eigentlich überall gerade geschürt. Nicht von ungefähr wird in Brüssel eine ganze Stadt in den Ausnahmezustand versetzt wegen Drohungen. Und Frankreich, das Land, in dem die Menschenwürde und die Freiheitsrechte geboren wurden, befindet sich für drei Monate in einem absoluten Ausnahmezustand, der viele dieser Freiheitsrechte komplett aufhebt und sehr viel mit dem Gefühl von Angst und Kriegshandlungen zu tun hat.

Tja, und Gedanken und Gefühle zu Verbrechen zu ernennen, ist eine weitere Eigenschaft des Systems in dem Roman. Frei nach dem Motto: Wer etwas anderes denkt als der große Bruder vorgibt, befindet sich sozusagen schon direkt auf dem Weg Richtung Widerstand, wird gnadenlos durchgegriffen. Und auch das ist nicht ohne Parallelen. Ich weiß nicht, wie frei man sich noch zu seinen Gedanken und Gefühlen äußern darf, wenn man beispielsweise als Minderheit in Russland lebt.

1984 ist jedenfalls ein beeindruckendes Buch, ist aber nicht die einzige Utopie, die man in dem Umfeld lesen kann. Idealerweise, wenn Du es nicht sowieso schon gelesen hast, empfehle ich das Buch Brave New World von Aldous Huxley gleich mitzulesen. Erst das eine, dann das andere – eigentlich egal in welcher Reihenfolge Du es machen möchtest.

Denn Brave New World beschreibt eine Art Gegenentwurf. Es ist da auch eine Zukunftsvision und die ist auch bedrückend, aber in Brave New World machen das die Bürger alles freiwillig mit. Sie müssen nicht gezwungen werden, sondern sie rutschen da irgendwie so rein. Sie haben da alle irgendwie einen ziemlich beunruhigenden, bedrückenden Hurra-Spaß dabei und es kommt im Wesentlichen ohne große Gewalt aus.

Beide Bücher jedenfalls beschreiben sogenannte dystopische Utopien, also Szenarien, in denen es im Allgemeinen nicht besonders positiv zugeht. Meistens fängt es schon beim Szenario an: Die beschriebene Zukunft ist eine Zukunft, in der wir uns nicht wirklich wohl fühlen, die aber viele Bezüge zu unserer Gegenwart hat, sodass wir uns gut vorstellen können, dass sich diese Zukunft aus unserer Gegenwart entwickeln kann.

Die Hauptfiguren haben in diesem Roman in der Regel kein Glück. Das heißt, immer dann, wenn wir von unseren normalen Gewohnheiten her erwarten würden, dass auch irgendwann mal etwas gut geht oder wenigstens in Romanen oder Geschichten irgendwann das Positive eintritt, arbeitet eine Dystopie eben mit dem genauen Gegenteil und lässt die Figuren leiden, Pech haben, scheitern und sterben.

Zuckern wir noch eine gesellschaftliche Warnung rüber und eine parallel zu einem etablierten Gesellschaftssystem et voilá haben wir den Cocktail, aus dem auch ein 1984 oder ein Brave New World angerührt wurde.

Ich für meinen Teil halte die Warnungen in diesen beiden Büchern für absolut berechtigt. Ich glaube aber nicht, dass wir so extrem enden werden. Ich glaube, wir werden irgendwo in der Mitte landen und ja, vielleicht werden wir uns dann in dieser Zukunft dann nicht wirklich wohl fühlen, aber unsere Kindeskinder womöglich eben schon. Und unsere Verantwortung wird es sein, jetzt sinnvoll Weichen zu stellen. Und da macht es ja Sinn, darüber nachgedacht zu haben.

Bis bald.

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