39 – Mathematik-Krieger

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Der zweite Weltkrieg war der erste Krieg, in dem Mathematiker kriegsentscheidende Schlachten gewannen. Bis 1974 blieb die Arbeit der geheimen Anlage bei Bletchley Park völlig geheim und erst heute können wir die Arbeit der Pioniere der Kryptografie schätzen.

Gordon Welchman (Wikipedia, Englisch)
Bletchley Park:
http://www.bletchleyparkresearch.co.uk/research-notes/women-codebreakers/
http://www.spiegel.de/einestages/zweiter-weltkrieg-die-geheimnismaschinen-a-949914.html

Turing und die Enigma: http://www.zeit.de/2012/22/Turing-Enigma

Bild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/65/’bombe‘.jpg

 

#039 – 39 Mathematik-Krieger

Was fällt Dir zu dem Stichwort “Zweiter Weltkrieg” ein?

Was vielleicht nicht jedem sofort in den Sinn kommt, woran ich aber auch denke, sind Mathematiker. Tastaturen, die dafür gemacht sind, verschlüsselte Nachrichten zu schreiben. Große Maschinen, die dafür gemacht sind, selbige Nachrichten zu knacken.

Das war nämlich der technische Stand als 1939 der Krieg ausbrach. Militärs standen über Funk miteinander in Kontakt. Damit der Feind diese Nachrichten nicht einfach mithören konnte, wurden diese Nachrichten verschlüsselt. Damit diese Nachrichten einheitlich verschlüsselt werden konnten, hatte jeder Kommandant in der deutschen Armee – und es gab ähnliche Systeme auch in anderen Armeen – eine Maschine, in deren Basiscodes, die dort hinterlegt waren, das Geheimnis zur Verschlüsselung der jeweiligen täglichen Nachrichten steckte. Die Rede ist natürlich von der berühmten Enigma-Maschina.

Die sah wirklich aus wie eine Art altertümliche Schreibmaschine. Gesteuert wurde das Gerät so, dass ein Basiscode vergeben wurde. Es hatte Walzen, die man auf eine bestimmte Stellung stellte und dann durch das Tippen auf der Tastatur ein Text auf ein Papier gedruckt wurde, der dann verschlüsselt war. Dieser Text wurde dann gefunkt.

Die Deutschen waren sich während des Kriegs bewusst, dass die Enigma theoretisch entschlüsselt werden konnte, aber der Aufwand, der dafür notwendig wäre, erschien so exorbitant groß, dass sie nicht daran glaubten, dass irgendjemand das versuchen würde. Genau das aber, das Knacken dieser Codes, war die Aufgabe einer Gruppe von Mathematikern, die genau zu diesem Zweck von der britischen Regierung kurz vor Anbruch des Krieges zusammen geholt worden waren und in einem kleinen Londoner Vorort namens Bletchley Park untergebracht worden waren.

Es gibt einige berühmte Namen, die man damit in Verbindung bringt. Für den Informatiker ist natürlich Alan Turing der schillernste der Teilnehmer dieser sehr, sehr geheimen Gruppe von Mathematikern. Alan Turing hat praktisch große Teile der modernen Computertechnik mitbegründet und er war der Konstrukteur einer Maschine, die man als Bomb, also als Bombe bezeichnet hat. Das war eine mechanisch elektische Maschine, die nichts anderes versuchte, als alle Kombinationseinstellungen einer justierten Enigma-Maschine durchzuspielen.

Das heißt, wenn ein Code reinkam und man den Verdacht hatte, eine ganz bestimmte Sequenz dieses Codes im Klartext zu kennen, dann kamen diese Maschinen zum Einsatz und berechneten alle möglichen, sich daraus ableitenden Kombinationen. Das konnte Tage dauern.

Das gesamte Projekt im Blechley Park wurde von einem brillianten Mathematiker geleitet, Gordon Welchman. Gordon Welchman war das, was man ein britisches Alphamännchen nennen könnte: Beliebt, er war gebildet, er war sportlich, im gesellschaftlichen Leben verankert und er war brilliant. Im Blechley Park saß Gordon Welchman und mit der Überzeugung, dass es einen kriegsentscheidenden Unterschied machen würde, zu verstehen, wie die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren im Krieg wirklich ablief, brütete er über jeden einzelnen Funkspruch, der reinkam und zur Analyse freigegeben wurde.

Die Enigma war schwer zu knacken. Es dauerte Tage. Und die meisten Bewegungen waren nicht mehr interessant, wenn man Tage dafür brauchte, um die komplette Kommunikation im Klartext zu haben. Also konzentrierte sich Gordon Welchman zunächst auf einen anderen Aspekt. Damit Nachrichten richtig zugestellt werden konnten und an die richtigen Stellen gefunkt werden konnten, waren sie sozusagen immer adressiert. Sie hatten einen unverschlüsselten Teil. Einen Bereich, in dem einfach nur stand, wer schickt ab, codiert, aber doch eine Klartextadresse sozusagen und einen Bereich in dem stand, wer der Empfänger zu sein habe. Gordon Welchmans erste Idee nun war, diese Informationen, diese Meta-Informationen, wie wir das heute nennen würden, zur sogenannten Traffic-Analyse zu verwenden. Auch das ein Begriff, den wir erst heute kennen. Gordon Welchman war der erste, der das gemacht hat.

Was macht nun eine Traffic-Analyse? – Die schaut sich die Kommunikation in einem Netzwerk an und versucht erst mal gar nicht zu entschlüsseln, sondern versucht zu verstehen, wohin was geht, was denn der Kontext der ganzen Informationsflüsse ist.

Auf diesem Weg konnte Welchman eine Karte der Bewegungen der deutschen Streitkräfte bauen, ganz ohne die einzelnen Nachrichten entschlüsselt zu haben. Durch die Traffic-Analyse konnten die Entschlüsseler und die Code-Knacker im Blechley Park nach und nach einzelne Kommandeure festmachen, die ganz bestimmte Gewohnheiten hatten. Etwa zum Beispiel ein Kommandeur, der jeden Morgen zur selben Zeit eine Nachricht an seine anderen Kommandeure schickte, in der er zunächst mal einen schönen guten Morgen wünschte.

Dieses Wissen nun machte möglich, die Maschine weiter zu optimieren. Das Codebrechen zu beschleunigen. Und Welchman hatte zu der Zeit eine geniale Idee, wie er die Berechnungszeit der Bomben von Tagen auf zum Teil wenigen Minuten verkürzen konnte.

Er führte einen Ort ein, das den Rechenprozess massiv rationalisierte. Und plötzlich war es möglich, wenn man einen Teil der Nachricht tatsächlich im Klartext hatte, sehr schnell auf den gesamten Inhalt der Nachricht zu schließen. Sehr schnell, natürlich für damalige Verhältnisse. Immernoch mindestens Minuten, meistens aber Stunden. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Nachrichten, die abgehört wurden und zur Analyse gegeben wurden, nicht in den Dutzenden waren, sondern das waren tausende von Nachrichten, die rein kamen, die eine nach der anderen bearbeitet werden musste.

Der erste militärische Erfolg, der von dieser super geheimen Operation ausgelöst und möglich gemacht wurde, war auch eine der großen Schlachten im zweiten Weltkrieg und einer der ersten großen Verluste für die deutsche Armee. Der Untergang der Bismarck.

Die Bismarck war der Stolz der deutschen Marine. Es war das gefürchtetste und schuss- und schlagkräftigste Schiff. Die Bismarck war den Briten ein Dorn im Auge. Denn die Bismarck hatte das britische Flaggschiff in einer viel beachteten Schlacht versenkt und dabei über 1.400 Briten getötet. Die Bismarck war wirklich schwer zu finden. Churchill hatte einen Befehl gegeben, die Bismarck zu jagen, zu finden und zu versenken. Aber das Meer ist groß.

Was Welchman nun gelang, war durch den Zufall eines nachlässigen Kommandeurs eine Nachricht zu entschlüsseln, die das nächste Anlaufziel der Bismarck enthielt. Letztlich wurde sie dann viel beachtet versenkt, wobei mehr als 2.000 Menschen ihr Leben verloren.

Für Blechley Park hieß das, es war der Beweis erbracht worden, dass mit Mathematikern, mit elektrischen Maschinen, mit Codebrechen Krieg geführt werden kann. Allerdings war Blechley Park immer noch in einer Baracke. Es war nicht groß genug, es war nicht staffed genug, es waren nicht genügend Mittel da. Und das war der Moment wo Welchman, Turing und einige andere der bekannteren Köpfe in dieser Operation einen Brief an Churchill schreiben und ihn dort auffordern, Blechley Park deutlich besser auszurüsten.

Churchill liest diesen Brief und es veranlasst ihn dazu, der Operation alle Mittel zu geben, die notwendig sind, um im Krieg einen Unterschied zu machen. Und aus Blechley Park wird von einer kleinen Ansammlung von Hütten, eine nichts anderes als industrialisiert zu nennende Kryptografie-Organisation mit 9.000 Angestellten. Alles super geheim. Tatsächlich wurde die Existenz von Blechley Park und die Wichtigkeit für den zweiten Weltkrieg erst 1974 wirklich publik gemacht. Bis dahin wusste niemand von der Rolle, die diese Operation im zweiten Weltkrieg gespielt hat.

Welchman ist einer der eher unbekannteren Köpfe, obwohl er im Zentrum dieser ganzen Operationen stand. Kennt man kaum. Turing kennen die meisten. Was viele auch nicht wissen: Im Blechley Park waren 9.000 Menschen tätig und zwei Drittel davon, mehr als 6.000, waren Frauen. Wir hören aber immer nur die Männernamen. Ich habe jetzt auch über Gordon Welchman und Alan Turing geredet.

Von der Enigma gibt es Weltweit noch ungefähr 400 Geräte, was wenig ist, wenn man sich überlegt, dass es mal mehr als 30.000 dieser Maschinen gegeben haben muss. Es ist nach wie vor ein Meilenstein moderner Kryptografietechnik und Welchman als Erfinder der sogenannten Traffic-Analyse, als einer der brilliantesten Köpfe der Kryptografie und als einer derjenigen, der viele Grundsteine gelegt hat, dazu wie man Verschlüsselungstechnik sowohl anwendet als auch knackt, ist einer der Pioniere für vielen Themen, die heute unseren Alltag bestimmen. Und mit Blechley Park war der zweite Weltkrieg der erste Krieg, in dem tatsächlich nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Mathematik gekämpft wurde.

Bis bald.