====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Graffiti ist das meist unerlaubte Bemalen und Beschriften von Flächen im öffentlichen Raum. Von vielen wird es als ein Phänomen der 60er/70er angesehen. Tatsächlich gibt es Graffiti schon seit jeher und die ältesten noch erhaltenen Beispiele stammen aus dem Jahr 500 n. Chr.
https://en.m.wikipedia.org/wiki/SJK_171
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mike_171
Bild: By Jakub Hałun; Graffiti: Unknown – Own work, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8702804
Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Liebsten in Portugal bei Wandern. Und die Anfahrt zu unserem Startpunkt haben wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestritten. Besonders abenteuerlich bei dieser Reise war die Fahrt mit dem Zug. Der war nämlich so besprayed, dass man praktisch nicht mehr rausschauen konnte und je nachdem in welchem Wagon man war, war auch die Innenseite gelegentlich verziert. Und das war dann schon auffällig, denn bei uns werden ja Graffiti, die auf Züge gesprayed werden, praktisch sofort über Nacht wieder runter geschrubbt und überleben keinen Tag. Deswegen sehen die Züge auch immer aus, wie aus dem Ei gepellt. Es ist eine Ausnahme, wenn da mal einer mit einem Graffiti rum fährt.
Graffiti ist lateinisch und die Mehrzahl von Graffito. Gemeint sind Schriftzüge oder Malereien im öffentlichen Raum, die in aller Regel ohne Zustimmung des Besitzers der bemalten Flächen angebracht werden. In vielen Ländern sind Graffiti, wenn sie denn ohne Genehmigung angebracht werden, auch illegal – also Vandalismus. Es handelt sich also auch um eine Art ziviler Ungehorsam oder Rebellentums, wenn man eben dann trotzdem schmiert.
Und Schmieren ist auch so ein unangebrachtes Wort, denn manche Graffiti sind einfach nur Kunstwerke – vergängliche Kunstwerke, denn sie werden ja wieder abgeschrubbt. Oft auch mit einer politischen Meinung. Beispielsweise gibt es derzeit in Frankfurt ein riesiges Gemälde von dem ertrunkenen Jungen, der vor einigen Monaten als Bild um die Welt ging. Ich sehe den immer wieder beim Joggen und ich finde das immer sehr bedrückend.
Wie so oft, gibt es rund um das Malen von Graffitis eigene Subkulturen, inklusive eigenem Jargon, eigener Kunstformen, eigener Erkennungsformen, eigener Musik, eigener Kleidung usw. Es wird ja immer alles schön kommerzialisiert.
Was man ja oft sieht, sind irgendwelche Schriftzüge. Eilig hingeschmierte Buchstaben, manchmal auch kaum als Buchstaben zu erkennen, wie Unterschriften. Das sind sogenannte Tags. In der Tat eine Art Unterschrift des Künstlers und oft eben auch bei den dann größeren Graffiti, untergebracht als Unterschrift als Signatur an irgendeiner Stelle des Gemäldes.
Wer jetzt glaubt, Graffiti ist Teil der modernen Popkultur, hat Recht und Unrecht zugleich. Es ist nämlich so, dass Graffiti eine uralte Geschichte sind, aus der alten antiken Römerzeit haben wir Wände, in denen Graffiti eingeritzt wurden. Manche weisen einfach nur auf ein nahe gelegenes Bordell hin, andere zeugen von Liebeskummer oder Ärger gegenüber jemanden und wieder andere sind von oben bis unten mit kleinen Nachrichten von Besuchern vollgeritzt – ganz wie heute eben auch. Eine Touri-Site eben, wo jeder irgendwie mal sein Herzchen oder seinen Namen oder eine Jahreszahl hinterlässt.
So gibt es eine Zitadelle auf Sri Lanka, die aus dem 5. Jahrhundert stammt, in der zwischen dem 6. und dem 18. Jahrhundert über 1.800 kleine Nachrichten zurückgelassen wurden. Die heutigen Stile, die wir oft als Graffiti bewundern dürfen, haben aber deutlich modernere Wurzeln: Hauptsächlich in den 60ern und 70ern. Und jawoll, wieder einmal aus den USA stammt dieser Stil und ganz besonders aktiv war die Graffiti-Szene damals in New York.
So gibt es eine ganze Reihe berühmter Künstler aus dieser Zeit aus dieser Stadt. So zum Beispiel besonders geschwungene Schriftzüge mit Pfeilen. Das hat irgendjemand zum allerersten Mal gemacht und das war tatsächlich in dieser Stadt zum ersten Mal zu sehen. Oder die wie aufgeblasen wirkenden Puffy Buchstaben – Puffy Cloud vom Stil her genannt. Oder Smoking Guns, also “Rauchende Colts”, alles das sind Dinge, die hat mal jemand zum allerersten Mal an eine Wand gesprayed. Und das waren dann Leute mit den klangvollen Namen “Phil 169” oder “Henry 161” oder “Felix 163” oder auch die Namenspatronen der heutigen Episode, nämlich “Mike 171” oder “SJK 171”.
Die 171 in ihrem Namen ist auch nicht von ungefähr. Das ist die Straße, in der sie lebten oder aufwuchsen oder geboren sind oder hauptsächlich gesprayed haben – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall die 171. Straße ist Namenspatron für diese Künstler.
Und Mike 171 und SJK 171 wurde nachgesagt, dass sie zu den ersten in New York in dieser Zeit gehörten. Später gründeten sie dann ein Künstlerkollektiv namens United Graffiti Artists, haben Ausstellungen gemacht, Bücher geschrieben, Interviews gegeben und viel, viel, viel ganz legal gesprayed und ein ganzes Genre und eine ganze Stilrichtung begründet.
Bis bald.