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Nicaragua ist der 109. größte Staat, zumindest nach dem Fischer Weltalmanach und ein wirklich interessanter Staat. Und die Geschichte über die ich heute spreche ist eine unglaubliche. Ein privater Krieg, der Versuch einen Sklaven-Zucht-Staat zu gründen und das gleich mehrmals…
- Wikipedia: William Walker
- Wikipedia: Sklavenstaat
- The Memory Palace (Podcast, Englisch): Presidente Walker
Bild: Wikimedia Commons
Heute testen wir mal Dein Geographie-Wissen. Du hast zehn Sekunden Zeit, um im Kopf ein paar Zentralamerikanische Staaten aufzuzählen. Kleiner Tipp: Es sind acht. Aber mit der DomRep, Haiti, Kuba, den Cayman Islands und Jamaika wären es zwölf. Los geht’s!
Wie Du hast keine Ahnung?
Ach, komm! Das ist doch einfach. Wir reden von diesem Zipfel zwischen Nord- und Südamerika. Da ist direkt unterhalb der USA zunächst mal Mexiko. Dann kommt Guatemala, Belize, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama. Und dann hätten wir natürlich noch die Cayman Islands, Jamaika, Haiti, DomRep und Kuba. Das sind aber Inseln, vorgelagert. Da kann man sich jetzt drüber streiten, ob die zählen oder nicht.
Einig sind wir uns allerdings, dass Zentralamerika in unserer Wahrnehmung nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Das Land, um das es uns heute geht ist Nicaragua. Denn Nicaragua ist auf der nach Einwohnern sortierten Liste aller Staaten der Erde auf Platz 109, zwischen Eritrea und Sierra Leone. Mit 50 Einwohner pro Quadratkilometer ist es auch dichter besiedelt als zum Beispiel die USA. Zum Vergleich: Deutschland hat 229 Einwohner pro Quadratkilometer. Wir sind also doch eine Ecke dichter besiedelt, als die Amerikaner. Aber, hey! Details. Jedenfalls leben in Nicaragua so rund sechs Millionen Einwohner. Die Hauptstadt trägt den klangvollen Namen Managua und die Amtssprache ist Spanisch.
Wer das Weltgeschehen ein wenig verfolgt, der hat vielleicht mitbekommen, dass in Nicaragua vor ungefähr zwei Jahren ein Großprojekt beschlossen wurde. Und zwar soll ein Kanal gebaut werden, ganz ähnlich wie in Panama, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Und zu diesem Kanal gehören außerdem noch eine Erdölpipeline, eine Eisenbahnstrecke, zwei Häfen und ein Flughafen. Und die Gesamtkosten dieses spektakulären Großprojekts liegen bei etwas 40 Milliarden US-Dollar. Bei der Recherche rund um Nicaragua tauchte ein Name auf und eine Geschichte von der ich erst einmal glauben konnte, dass es wirklich so passiert ist. Der Name: William Walker.
William Walker lebte von 1824 bis 1860 und war ein amerikanischer Arzt, Rechtsanwalt, Journalist und Söldner. Er muss ein intelligenter Mann gewesen sein. Er schloss summa cumme laude an der University of Nashville ab, da war er gerade mal 14. Und hat dann Medizin in Edinburgh studiert und bekam seinen Medical Doctor mit gerade mal 19 Jahren. Er hat auch ganz kurz als Arzt praktiziert, in Philadelphia nämlich.
In den USA herrschte zu der Zeit nach wie vor Sklaverei. Es gab sogenannte Slaves States und Free States. Free States waren die Staaten, die beschlossen hatten, die Sklaverei abzuschaffen und Slave States waren eben jene Staaten, in denen die Sklaverei legal erlaubt war. In dieser Zeit nun zog William Walker, 1849, nach San Francisco. Und in San Francisco kam ihm der Gedanken, dass es doch sehr lohnend sein würde, wenn man einen Staat regieren könnte und zwar einen Sklavenstaat. Einen Staat, der eben dazu gedacht war, neue Sklaven für die amerikanischen Regierungen, in denen die Sklaverei noch legal war, zu produzieren.
Das mag jetzt irgendwie völlig durchgeknallt klingen, das war aber zu der Zeit gar nicht ungewöhnlich und das war auch nichts Illegales. Und deswegen zog Walker nach Mexiko und bewarb sich um eine staatliche Förderung um weiter südlich auf dem Kontinent eine eigene kleine Kolonie gründen zu können.
Er fing an, Männer zu rekrutieren, die für ihn in so einer Kolonie eventuell auch kämpfen würden und nach und nach formte sich dann der Plan heraus, nicht nur eine Kolonie in einem Territorium zu gründen, sondern gleich mal einen kompletten Staat. Eine unabhängige Republik. Mit dem Fernziel, dann irgendwann in die USA eingegliedert zu werden.
Wer jetzt anfängt, sich den Kopf zu kratzen und das für total verrückt hält, dem sei auch gesagt, dass es genau die Art und Weise war, wie Texas zu den USA gekommen ist. Jedenfalls bekam er Mittel zur Unterstützung und dann zog er los und versuchte, ein Gebiet von Mexiko einzunehmen. Und zwar ein Gebiet rund um die Baja California mit der Stadt La Paz. Und er rief die „Republic of lower California“ aus und ernannte sich selbst zum Präsidenten und seinen Partner als Vize-Präsident dieser Region. Dann erklärte er sich rechtlich dem Bundesstaat Louisiana zugehörig, somit war Sklaverei legal und dachte schon, damit wäre sein Plan aufgegangen.
Allerdings hat er die Rechnung ohne die Mexikaner gemacht. Die haben einiges an Widerstand geleistet und so wurde er irgendwann aus diesem Landstrich vertrieben und in Kalifornien, zu dem er dann zurückkehrte, erst einmal wegen des Versuchs einen illegalen Krieg zu führen, angeklagt. Man sah die Sache aber damals milde und so hat es gerade mal acht Minuten gedauert, bis er von den Vorwürfen freigesprochen wurde. Und so reingewaschen, nahm er einfach noch mal später Anlauf und über ein paar Zwischenstationen, die ich jetzt hier nicht weiter ausführen will, landete er irgendwann in Nicaragua und erklärte sich selbst mit einer gefakten Wahl zum Präsidenten von Nicaragua.
Er wurde am 12. Juli 1856 eingeschworen und begann dann ein Amerikanisierungsprogramm. Er führte die Sklaverei wieder ein. Er erklärte Englisch zur offiziellen Landessprache, fing an die Währung umzustellen, die staatlichen Vorgaben zu ändern und anzupassen, sodass Immigration in die Vereinigten Staaten möglich wurde, denn was er vorhatte, was er bauen wollte, war mehr oder weniger ein Sklaven-Zuliefererstaat für die USA.
Und wie schon zuvor hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es dauerte nicht lange und es kam zu Aufständen und Gegenmaßnahmen und so wurde er aus Nicaragua vertrieben. Wobei er die Stadt Granada, in der er sein Lager aufgeschlagen hatte, während dem Rückzug komplett in Brand steckte und in Schutt und Asche endete. Er wurde dann daheim wie ein Held empfangen. Hat man halt damals so gemacht.
Gelernt hat er jedenfalls nichts draus. 1860 hat er noch einmal Anlauf genommen. Das gleiche Kunststück im benachbarten Honduras versucht. Dieses Mal jedoch geriet er dann von Anfang an mit der königlichen Marine Englands in Konflikt und die haben ihn dann festgenommen und an die Honduraner ausgeliefert. Die haben kurzen Prozess mit ihm gemacht und ihn prompt erschossen.
Wer weiß, wie oft er es sonst noch versucht hätte.
Die Debatte rund um Sklavenstaaten in Zentralamerika, die ging noch eine Weile hin- und her. Es wurde wirklich ernsthaft in den USA diskutiert, ob nicht ein Zentralamerikanischer Bereich zur Züchtung von Sklaven genutzt werden könnte. Was auch irgendwie verblüffend ist, ist, der gute William Walker marschierte gerade mal mit so ungerechnet 60 Freibeutern in Nicaragua ein. 60 Mann! Und er hat es geschafft, praktisch einen ganzen Staat an sich zu reißen. Was natürlich auch nur deswegen möglich war, weil Nicaragua zu der Zeit ohnehin in einem Bürgerkriegszustand war. Aber trotzdem. Ich fand es beim Nachlesen der Ereignisse bemerkenswert, mit wie wenig Aufwand Walker vorankam. Und das nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals.
Walker schrieb ein Buch über die Ereignisse in Nicaragua. Es gibt zwei Filme, die von den Ereignissen inspiriert wurden und so manches lässt sich natürlich auch in den Geschichtsbüchern nachlesen. Und wer dem Englischen ausreichend mächtig ist und eine englische Podcast-Empfehlung Nachhören möchte, der wird in „The Memory Palace“ in der Episode „President Walker“ fündig. Link, wie immer in den Notizen zur Sendung.
Heute ist Nicaragua nach wie vor eine präsidiale Demokratie, das heißt, der Präsident wird direkt gewählt und es ist ein verhältnismäßig armes Land mit gerade mal 1.650 US-Dollar Bruttonationaleinkommen pro Einwohner. Etwas wo die Leute gerade noch so über die Runden kommen.
Bis bald.