====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Als Johann Westhauser über 11 Tage hinweg aus der Riesending Höhle gerettet wurde war natürlich völlig klar, dass man alles unternehmen würde. Doch danach gab es eine Diskussion um die Kosten, die diese Aktion produziert hatte. Über 700 Rettungskräfte waren im Einsatz gewesen, mehr als 900000€ Kosten waren entstanden. Das warf dann die Frage auf: Wie viel Aufwand darf eine Rettung eigentlich produzieren?
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/riesending-hoehle-rettung-von-westhauser-kostete-960-000-euro-a-1049360.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Rettungsaktion_in_der_Riesending-Schachth%C3%B6hle
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/johann-westhauser-rettung-aus-der-riesending-hoehle-kostete-eine-million-13764450.html
http://anerzaehlt.net/274-stunden/
https://de.wikipedia.org/wiki/Wert_eines_Menschenlebens
Was bin ich wert? (Suhrkamp): http://amzn.to/2choQby
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#279 – Wieviel ist ein Mensch wert?
Erinnerst Du Dich noch an die Folge 274, in der ich von der Rettung von Johann Westhauser aus der Riesendinghöhle berichtet habe? – Genau, das war die mit den Tropfen.
Zur Erinnerung, falls Du die Episode nicht gehört hast: Johann Westhauser war insgesamt 274 Stunden in der Berchtesgardener Riesendingschachthöhle gefangen. Da gab es einen Steinschlag, er war am Kopf getroffen worden und er war unter riesen Aufwand gerettet worden. 11 Tage dauerte die gesamte Aktion und es waren über 700 Menschen im Einsatz bei dieser Rettung. Natürlich kam da auch so einiges an Kosten zusammen, nämlich 960.000 Euro, fast eine Millionen also.
Das waren zum Teil Einsatzgebühren, zum Beispiel Helikopterfluggebühren, Sprit usw. Aber auch der reine logistische Aufwand war enorm. Über 90% der Materialien der Bayrischen Bergrettung waren in dieser Höhle oder an dieser Höhle im Einsatz. Am Eingang der Höhle wurde eine Notunterkunft errichtet und ein notfallmedizinisches Versorgungslager. Es musste ein Helikopterlandeplatz gebaut werden, um die Versorgungsflüge durchführen zu können usw.
Und jetzt ist es natürlich so, dass so ein Ding, wie Höhlenforschung unter Umständen nicht so ganz von der privaten Unfallversicherung abgedeckt ist. Und dann hieß es eben nach erfolgreicher Rettung, die Kosten muss irgendjemand zahlen, eventuell der Bayrische Staat. Und das führte zu einigen recht interessanten Diskussionen. Zum Beispiel der Frage, ob man denn nicht eine Mitschuld annehmen könne, wenn jemand in so eine Höhle klettert, ist das ja schließlich dessen freie Entscheidung. Wenn der dann da drin verunglückt, dann muss er ja praktisch einfach mal mit zur Kasse gebeten werden dürfen. Ein kleiner Einschub hier: Johann Westhauser hat sich beteiligt, aber natürlich hatte der keine 960.000 Euro auf seinem Konto liegen.
Und bei dieser ganzen Diskussion, da kam bei mir eine Frage hoch: Wieviel ist denn wohl so ein Mensch wert? Ab welchen zu erwartenden Rettungskosten, schreiten wir denn nicht mehr zum Einsatz? Gibt es denn irgendeine Schwelle; irgendeine Kalkulation, die man da anlegen kann? Und welche Rolle soll denn das bitte spielen, ob jetzt jemand sich selbst in Gefahr oder selbst in eine Notlage gebracht hat oder ob es unverschuldet passiert ist? Wer würde denn überhaupt festlegen, was Schuld und Unschuld in dem Fall sein soll?
Der Wert von Menschen ist auch gerne mal als platte Tüte anzutreffen. Dann nämlich, wenn irgendjemand meint von sich geben zu müssen, dass ein Menschenleben ja schließlich unbezahlbar sei. Da fragt sich doch der naive Hörer automatisch: Wenn dem so wäre, warum können wir uns dann überhaupt leisten, Soldaten irgendwohin zu schicken? Und wie lässt sich erklären, dass wir Versicherungssummen auf Todesfälle abschließen können? Also, beziffern können, wieviel es denn nun wert ist, wenn jemand stirbt.
Und da habe ich einen Buchtipp für Dich. Genau diese Fragen hat sich nämlich mal Jörn Klare gestellt. Jörn Klare ist Journalist und Buchautor und hat das kleine Suhrkamp-Büchlein “Was bin ich wert?” geschrieben. Und die Antwort auf die Frage ist eigentlich nur zusammenzufassen in Es ist kompliziert. Denn den einen Wert gibt es anscheinend schon mal gar nicht. Das fängt schon mal mit der Frage an: Was heißt denn das und für wen?
Für einen Organhändler habe ich einen anderen Wert als für meine Frau. Für meinen Arbeitgeber koste ich einen anderen Betrag, als für meinen Lebensversicherer. Und dann gibt es natürlich auch, eigentlich gar nicht verwunderlich, Formeln im Behördenalltag, die angeben, ab wann ein Kostenblock, der Menschenleben rettet, gerechtfertigt ist. Denn irgendwie muss man ja mal die Entscheidung treffen, ob man auf einer Straße einen Kreisverkehr anbringt und damit den Verkehr verlangsamt, wodurch weniger Menschen umkommen. Und diese Entscheidung muss rational getroffen werden oder soll zumindest. Und die wird berechnet.
Es wird sich die Frage gestellt, wieviel Menschen kommen dort um? Wieviele Menschenleben kann man einsparen? Sind die Kosten für den Kreisverkehr gerechtfertigt, wenn man sie mit den potenziell eingesparten toten Menschen verrechnet? Und Jörn Klare beschreibt diese Formeln und die Zahlen, die dabei rauskommen. Und daher weiß ich zum Beispiel, dass die volkswirtschaftlichen Kosten bei einem Verkehrstoten bei ca. 1,16 Millionen Euro liegen. Wenn also der Kreisverkehr einen einzigen Verkehrstoten verhindert, aber mehr als 1,16 Millionen Euro kostet, dann sollte man ihn vielleicht nicht bauen, so die Überlegung, wenn es rein zynisch nach diesen Zahlen geht.
Aus diesem Buch weiß ich auch, dass ein Facebook-Nutzer angeblich ungefähr 160 Euro wert ist. Und ein Hartz IV Empfänger, wenn man praktisch den Hartz IV Satz als Maßstab für menschlichen Wert annehmen würde, etwas mehr als 8.800 Euro im Jahr. Und da wären wir auch beim Themenanker für die heutige Sendung. Wenn Du nämlich so wie Jörn Klare 32 Jahre alt wärst und heute aufhören würdest zu arbeiten, um dann von Hartz IV Deinen Lebensunterhalt zu bestreiten, dann wärst Du werttechnisch bei irgendwas über 279 000 Euro. Schon irgendwie deprimierend oder?
Bis bald.